Loslassen als Nebenjob
Darauf zu warten, dass jemand stirbt, ist nicht gerade eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Genau das mache ich aber seit Wochen. Ich warte auf den Moment, der mit eiskalter Gewissheit bestätigt, dass jemand aufgrund der Wetterverhältnisse oder sonstiger nichtig erscheinender Umstände sein Leben lassen musste. Nichts passiert. Gibt es beim Sterben etwa ein Sommerloch? In meine Überlegungen tritt unerwartet der Temperatursturz und bringt eine 88jährige Frau zu Fall. So werde ich Zeuge, wie man mit einem einwandfreien Auftreten und durch Körpereinsatz dem Lauf der Zeit einen würdevollen letzten Gang verleihen kann.
Franz Plescher ist 54 Jahre alt und als Aushilfskraft Sargträger. Hauptberuflich betreibt er die Krapfenhütte am Fuße des Blombergs im bayerischen Oberland. Um in seiner freien Zeit am Vormittag ein paar Euro dazu zu verdienen, begleitet er die Toten auf ihrem letzten Weg und stellt ihnen an einem Tag für eine Stunde seine Armkraft und sein Schuhwerk zur Verfügung. Mit der Einstellung “Irgendwann ist das Leben aus, wäre ja schlimm, wenn man ewig leben würde”, schultert Plescher seinen Nebenjob.
Jeden Nachmittag ist die Krapfenhütte mit Leben gefüllt. Der warme Duft frischen Gebäcks steigt in die Nase. Man schnuppert Mama`s liebevolle Sonntags-Atmosphäre bei frischem Kuchen und lautem Durcheinander. Zwei in Lederhose gekleidete Einheimische schlürfen ihren Kaffee. Ein soeben eingetretener Gast bestellt drei Berliner, wobei sich das halbe Lokal fragend dem Neuankömmling widmet, während Plescher weiter weiß gepuderte Krapfen zu seinen Gästen trägt.
Einen Tag später trägt er schwarz. Und die Erinnerung ans Gestern unter einer Mütze, die an die klassische Kopfbedeckung eines Offiziers erinnert. Nur die weißen Baumwollhandschuhe und sein hellblaues Hemd heben sich farblich ab. Am Kragen erkennt man einen Palmzweig als Symbol des ewigen Lebens. Wenn man das Zeichen deutet, ist es vielleicht sein Auftrag, den Tod in eine andere Wirklichkeit zu bringen. Eine, die größer als das normale Leben ist und zu einem neuen Übergang führt. Ob er sich dessen bewusst ist?
. . . (Fortsetzung folgt)