Ein Funken bleibt
Sie sah rot. Ihr Feuer wärmte sie nicht mehr. Anstatt ihr Kraft zu geben, verbrauchte es jeden Millimeter Luft, den sie zum Überleben benötigte. Die Flammen züngelten unbeaufsichtigt. Grell. Zerstörend. Bis nur noch ein Haufen Asche übrigblieb, der auch ihre Kontrolle unter sich begraben hatte.
Die Wucht seiner Worte traf sie unvorbereitet. Einmal, zweimal scannte sie in Gedanken das Gesagte ab, dann hatte sie es erfasst. Er konnte in diesem Moment noch nicht erahnen, dass dieser Prozess, den er durch seine lapidar in den Raum gesprochene Bemerkung ausgelöst hatte, der Anfang einer Reihe von Dingen war, die in der Wirklichkeit nichts zu suchen hatten.
Er hatte sie nicht schlecht geredet. Nein. Er beherrschte die Kunst des Gutdastehens. Vielmehr hatte er begonnen, die in seinen Augen bestehenden Defizite an ihr auszuplaudern. Wie ein Gärtner, der auf seinem eigenen Feld absichtlich Unkraut säen will. Er hatte es bis zur Unkenntlichkeit wuchern lassen. Man hätte das Unerwünschte erst entfernen, sich durchkämpfen müssen, um durchzublicken. Er aber kämpfte nicht, er hing in seinen Schlingen aus Lügen und Verleumdungen fest.
Sein eigenes Saatgut hatte ihn gezwungen, ihre Existenz abzustreiten, das wusste sie. Dennoch legte sich sein Verrat wie ein eiserner Mantel um ihren Brustkorb. Ihre Gefühle zerbrachen unter der Last. Irgendwann spürte sie die Einsamkeit nicht mehr. Sie zog sich auf einen abgelegenen Tempel zurück, der über ein Dutzend Berghügel ragte, und dessen rotes Dach die Nebelwand um ihn herum regelrecht zu durchbrechen schien. Hier konnte sie sogar die Stille ertragen, denn hier war sie dem Himmel ein Stück näher.
Ihr Feuer loderte nicht mehr. Das letzte Zünglein hatte gerade noch ausgereicht, um ihre Hände um seinen Hals zu legen und zuzudrücken. Müde setzte sie sich in die Mitte des Pavillons und blickte nach oben. Was sie sah, erschreckte sie nicht mehr, aber es beruhigte sie auch nicht. Denn zum zweiten Mal in ihrem Leben sah sie rot.