Babyspeck im Plazentamantel
Ich schreie.
Nicht, weil meine Stimmbänder ein Work-out-Programm nötig hätten, sondern weil ich in die Welt der Lebenden gepresst wurde. Von einer Sekunde auf die andere. Ein Schock. Hat mich eigentlich jemand gefragt, ob ich das will?
Wenn Ihr wüsstet, wie gemütlich ich es gerade noch hatte. Ich habe in den Wellen des Fruchtwassers geschaukelt und Cocktails zu mir genommen, die ein regelrechtes Halleluja auf den Geschmacksnerven des ein oder anderen Barkeepers entzüngelt hätten. Und der Mutterkuchen erst. Was habe ich für ein Vergnügen gehabt, diese wunderbaren Fruchtstückchen tagein tagaus zu verköstigen. Und das alles, ohne einen Cent dafür hinblättern zu müssen. Ich war der Kuchen-Kiffer, der blähbauch verursachende Bandwurm des Bauchraumes. Leute, Pauschalreisen sind ein Scheißdreck dagegen.
Bei soviel Schmankerln war es klar, dass ich zunehme. Aber dass mir die Organe auf die Pelle gerückt sind, lag einzig und allein an der Tatsache, dass sich mein Zuhause in einer Schieflage befand. Mangelnde Bewegung war es jedenfalls nicht. Ich bin über das Plazenta-Parkett gefedert wie Fred Astaire, sobald sich nur ein musikalischer Laut durch die Fleischwand presste. Selbst beim Treppensteigen inhalierten meine Hüften den rhythmischen Impuls.
Kurzum: mein Element war das Paradies. Und jetzt bin ich draußen.
Ok, es gab auch Zeiten, in denen ich mich gelangweilt habe. Abhilfe schaffte ich durch einen Fußtritt hier, eine Po-Streckung da. Bis man endlich Notiz von mir nahm. Jeder braucht schließlich ab und zu mal jemanden, der mit ihm spielt. Ich hatte einfach den Dreh raus und wußte, wie man Kontakte knüpft. Und wenn es mal nicht klappte, dann blieb mir eben nur eins. Saufen. Nur, dass Ihr`s wißt: mein Glucksen war kein Ausdruck von Freude. Ich hatte schlicht und ergreifend Schluckauf. Basta.
Aber deswegen gleich alles verlassen?!
Mich stört allein schon das Licht. Was soll ich denn hier? Alle schauen mich an. Was erwarten die? Dass ich sie unterhalte? Wenn die glauben, dass ich ab jetzt so funktioniere, wie sie wollen, dann haben die sich aber geschnitten. Verdammt. Was weiß ich denn schon, außer, dass ich wohl von denen abhängig bin. Aber ist der Typ da drüben jemand, dem man trauen kann? Ich muss unbedingt lernen, wie man allein klar kommt. Aber was ist, wenn ich mal wieder jemanden zum Spielen brauche – bringt mich mein Strampeln weiter? Was passiert, wenn ich von der Musik angetrieben werde und vom Parkett stolpere? Werde ich wieder aufstehen? Bin ich eines Tages auch verantwortlich dafür, dass jemand genauso denkt und fühlt wie ich?
Eigentlich will ich nur meine Ruhe. Ich will nicht in ein Leben rutschen, dass mich schon jetzt überfordert. Bingo. Das habt Ihr gerade vermasselt.
Ihr habt doch sicher nichts dagegen, Leute, wenn ich erstmal noch `ne Runde schreie.
The EnTe
P.S.: Das alte Leben ist nun futsch – drum allen einen Guten Rutsch!